Sachverhalt:
Die unten aufgeführten Leitsätze hatten wir Ihnen in unserer Septemberveranstaltung unter der Rubrik „Entscheidungen in letzter Minute“ schon gezeigt. Die beklagte Bank führte Darlehens- und KK-Konten für die Schuldnerin. 2009 kündigte sie diese, woraufhin Eigenantrag gestellt wurde. Im April 2009 meldete die Bank eine Hauptforderung von rund 53.000 € zur Tabelle an. In der dort beigefügten Forderungsberechnung war ein Vermerk auf eine „Verrechnung“ am 30.01.2009 enthalten. Von der Auszahlung der Investitionszulage an die Beklagte und die Verrechnung wusste der Kläger angeblich bis 2014 nichts. Kontoauszüge für das Verrechnungskonto forderte er erstmals im November 2014 bei der Beklagten an.
Am 27.12.2017 (der Beklagten zugestellt am 05.02.2018) erhob er Anfechtungsklage wegen 514.000 € gegen die Beklagte. Diese erhob Verjährungseinrede.
Leitsätze des BGH:
Begründung:
Erstinstanzlich gewann der Kläger sogar.
Wesentlich für die Entscheidung war hier die Frage, wann von einer grob fahrlässigen Unkenntnis des Insolvenzverwalters i.S.v. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB hinsichtlich des Vorliegens von Anfechtungstatbeständen auszugehen war.
§ 199 BGB Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist und Verjährungshöchstfristen
(1) Die regelmäßige Verjährungsfrist beginnt, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, mit dem Schluss des Jahres, in dem
1.der Anspruch entstanden ist und
2.der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.
Das bedeutet, dass sich der Insolvenzverwalter einen früheren Beginn des „Verjährungslaufs“ anrechnen lassen muss, wenn er hätte Kenntnis erlangen können oder sogar müssen, dies aber grob fahrlässig nicht getan hat.
Der BGH stellt dabei klar, dass es zu den nicht abdingbaren Hauptpflichten des Insolvenzverwalters zählt, sich spätestens innerhalb von 3 Jahren seit Verfahrenseröffnung einen vollständigen Überblick über sämtliche Kontobewegungen zu verschaffen, die in den für §§ 130, 131 InsO relevanten Zeitraum von 3 Monaten fallen. Inhalt dieser Pflicht ist die Sicherstellung, dass alle für diesen relevanten Zeitraum bestehenden Kontounterlagen und Auszüge vollständig vorliegen.
Alleine das Versäumnis, zu Beginn diese Auszüge nicht vollständig anzufordern begründet noch nicht zwangsläufig die grobe Fahrlässigkeit. Entscheidend ist die weitergehende Prüfung, ob sich dem Insolvenzverwalter solche Ermittlungen im Hinblick auf mögliche Anfechtungstatbestände hätten regelrecht aufdrängen müssen.
Nur dann, wenn der Insolvenzverwalter konkrete Verdachtsmomente hatte und keine Ermittlungen anstellte, wird seine Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen zum früheren Zeitpunkt grob fahrlässig. Solche Verdachtsmomente ergeben sich zum Beispiel aus der Forderungsaufstellung. Die Beweislast hierfür liegt jedoch beim Antragsgegner.
Die Entscheidung ist für Banken aus 2 Gesichtspunkten interessant.
Ist die Bank potentiell anfechtungsgefährdet, so ist die Hoffnung, dass sich der Insolvenzverwalter die der Anmeldung beigefügte Forderungsaufstellung – zumindest, wenn es sich um mehrere Konten handelt – nicht genau ansieht nicht unbegründet. Man muss die Verrechnung ja nicht unbedingt mit dem Textmarker kennzeichnen, dazu besteht keine Verpflichtung.
Zum 2. Ist die Entscheidung aber auch für andere Gläubiger hinsichtlich einer Quotenklage interessant. Sie sehen, dass es sich hier um mehr als 500.000 € handelt. Wenn diese, wie vorliegend vom Insolvenzverwalter wegen eines klaren Verschuldens nicht realisiert werden können, besteht in jedem Fall ein Anspruch für eine Quotenklage.
BGH v. 27.07.2023, Az. IX ZR 134/19
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