BGH Grundsatzurteil v. 27.10.2022, Az. IX ZR 145/21 zum Verwertungsrecht des Insolvenzverwalter bei „sonstigen Rechten“

Das BGH-Grundsatzurteil vom 27.10.2022 (Az. IX ZR 145/21) besagt, dass § 166 InsO nicht auf „sonstige Rechte“ anwendbar ist. Dies betrifft besonders Übertragungsrechte wie Marken- und gewerbliche Schutzrechte. Verwertungsverbote gelten nicht mehr für solche Rechte. Amtshaftungsansprüche sind möglich, wenn Gerichte rechtswidrige Beschlüsse erlassen.
21. Mai 2024
Zur Verfügung gestellt von RA Jürgen Hotz

Das Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters gem. § 166 InsO bei mit Absonderungsrechten belasteten sonstigen Rechten war bisher unklar, was die Insolvenzverwalter allerdings nicht daran hinderte, davon Gebrauch zu machen.

§ 166 InsO Verwertung beweglicher Gegenstände

(1) Der Insolvenzverwalter darf eine bewegliche Sache, an der ein Absonderungsrecht besteht, freihändig verwerten, wenn er die Sache in seinem Besitz hat.

(2) Der Verwalter darf eine Forderung, die der Schuldner zur Sicherung eines Anspruchs abgetreten hat, einziehen oder in anderer Weise verwerten.

(3) Die Absätze 1 und 2 finden keine Anwendung

1.  auf Gegenstände, an denen eine Sicherheit zu Gunsten des Betreibers oder des Teilnehmers eines Systems nach § 1 Abs. 16 des Kreditwesengesetzes zur Sicherung seiner Ansprüche aus dem System besteht,
2.  auf Gegenstände, an denen eine Sicherheit zu Gunsten der Zentralbank eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder Vertragsstaats des Europäischen Wirtschaftsraums oder zu Gunsten der Europäischen Zentralbank besteht, und
3.  auf eine Finanzsicherheit im Sinne des § 1 Abs. 17 des Kreditwesengesetzes.

 

Der dem Urteil zu Grunde liegende Sachverhalt sah wie folgt aus:

Die Schuldnerin hatte der Darlehensgeberin zur Sicherung eines Darlehens Markenrechte abgetreten. Das Darlehen war fällig. Die Darlehensgeberin hatte zuvor sowohl die Darlehensrückzahlungsforderung wie auch die Sicherheiten an den Kläger abgetreten. Der Beklagte (Insolvenzverwalter) hatte die Markenrechte veräußert.

Der Klageantrag ist darauf gerichtet, dem Kläger die Verwertung der Klagerechte zu ermöglichen und auch festzustellen, dass die Verfügung des Beklagten über die Markenrechte und auch der Veräußerungsakt deshalb unwirksam gewesen seien.

 

Bisher hatte der BGH in seiner RSpr. offengelassen, ob § 166 InsO auf sonstige Rechte analog angewendet werden kann. In der Rspr. und auch Lit. gab es hierzu 2 etwa gleich stark ausgeprägte, unterschiedliche Meinungen. Mit dem jetzigen Urteil stellt der BGH klar, dass § 166 InsO auf sonstige Rechte, an denen ein Absonderungsrecht besteht, nicht anwendbar ist.

 

Leitsatz

Das Recht des Insolvenzverwalters, bewegliche Sachen, an denen ein Absonderungsrecht besteht, und zur Sicherheit abgetretene Forderungen des Schuldners zu verwerten, erstreckt sich nicht auf sonstige Rechte.

Der BGH begründet dies damit, dass § 166 Abs. 1 + 2 InsO ein Verwertungsrecht nur für Sachen und Forderungen vorsehen würde. Die InsO selbst würde auch zwischen Forderungen (§ 166 InsO) und sonstigen Rechten (§ 51 Nr. 1 Alt. 2 InsO) unterscheiden.

§ 51 InsO Sonstige Absonderungsberechtigte

Den in § 50 genannten Gläubigern stehen gleich:

1.  Gläubiger, denen der Schuldner zur Sicherung eines Anspruchs eine bewegliche Sache übereignet oder ein Recht übertragen hat;
2.  Gläubiger, denen ein Zurückbehaltungsrecht an einer Sache zusteht, weil sie etwas zum Nutzen der Sache verwendet haben, soweit ihre Forderung aus der Verwendung den noch vorhandenen Vorteil nicht übersteigt;
3.  Gläubiger, denen nach dem Handelsgesetzbuch ein Zurückbehaltungsrecht zusteht;
4.  Bund, Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände, soweit ihnen zoll- und steuerpflichtige Sachen nach gesetzlichen Vorschriften als Sicherheit für öffentliche Abgaben dienen.

 

Da eine entsprechende Regelung bei § 166 InsO fehle, wollte der Gesetzgeber dies also offensichtlich nicht. Der BGH sieht also hier kein Versäumnis des Gesetzgebers, der die sonstigen Rechte einfach vergessen haben könnte, was zu einer analogen Anwendung führen würde. Er ist der Auffassung, dass der Gesetzgeber die sonstigen Rechte sehr wohl gesehen und gekannt hat, weil sie in § 51 InsO ja Eingang gefunden haben. Aus diesem Grund sei das Weglassen der sonstigen Rechte in § 166 InsO bewusst erfolgt. Dies verbiete dann aber eine analoge Ausdehnung des § 166 InsO auf sonstige Rechte.

 

Das wirft nun aber die Frage auf, welche Rechte genau fallen unter den Begriff der sonstigen Rechte.

Nach dem BGH, der dazu die §§ 829, 857 Abs. 1 ZPO + § 413 BGB bemüht, können sonstige Rechte nur eigenständig übertragbare Rechte sein, denen anders als Forderungen, kein Leistungsanspruch mitgegeben ist oder für den (gemeint ist der Leistungsanspruch) es zumindest keinen schuldrechtlichen Entstehungsgrund gibt (sonst wäre es ja eine Forderung).

Der BGH definiert hier ausdrücklich Markenrechte sowie auch alle anderen gewerblichen Schutzrechte, wie Designs, Patente, Gebrauchsmuster, Sorten- oder Halbleiterschutz etc.

Anders ist es bei Urheberrechten, weil diese nicht übertragbar sind und deshalb nicht den sonstigen Rechten zugeordnet werden. 

Aber Achtung: Überträgt der Urheber die Nutzungsrechte an seinem Urheberrecht an einen Dritten, sind diese wiederum übertragbar und unterfallen daher den sonstigen Rechten.

 

In der Praxis ist es für die Bank jedoch vor allem von Bedeutung, ob zum Beispiel Wertpapiere oder Geschäftsanteile unter den Begriff der sonstigen Rechte fallen.

 

Hier muss unterschieden werden:

Inhaberaktien: Sie werden wie Sachen behandelt, weil ihre Übertragung nach den 

  Grundsätzen der §§ 929 BGB ff erfolgt. 

  Ausnahme, wenn eine Verbriefung noch nicht erfolgt ist und die Übertragung nach 

  • § 413,398 BGB durch Abtretung vorgenommen wird. Dann sind sie als sonstige 

  Rechte zu qualifizieren.

Namenspapiere: Sie werden nicht wie Inhaberpapiere übereignet, sondern gem. 

  • § 413, 398 BGB übertragen und sind daher als sonstige Rechte zu betrachten.

 

Verwertungskosten:

Auch hier wirkt sich das Urteil aus. Grundsätzlich fällt bei der Globalzession eine Verwertungspauschale von 9 % an.

Wird von der Bank mit dem Insolvenzverwalter eine höhere Quote vereinbart, sollte, wenn Förderkrediten in die Finanzierung mit einbezogen sind, in jedem Fall zuvor eine Abstimmung mit dem Ausfallbürgen erfolgen.

Dies gilt nun um so mehr für die sonstigen Rechte, weil der Insolvenzverwalter hierfür gar keine Pauschale berechnen darf.

  • 166 InsO gilt über § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO auch für das vorläufige Verfahren.

Das Urteil führt aber nun dazu, dass auch hier die sonstigen Rechte von dem Antragsrecht des Insolvenzverwalters nicht mehr umfasst sind.

 

  § 21 InsO

Abs. 2: Das Gericht kann insbesondere

Nr.5 1anordnen, dass Gegenstände, die im Falle der Eröffnung des Verfahrens von § 166 erfasst würden oder deren Aussonderung verlangt werden könnte, vom Gläubiger nicht verwertet oder eingezogen werden dürfen und dass solche Gegenstände zur Fortführung des Unternehmens des Schuldners eingesetzt werden können, soweit sie hierfür von erheblicher Bedeutung sind; § 169 Satz 2 und 3 gilt entsprechend; ein durch die Nutzung eingetretener Wertverlust ist durch laufende Zahlungen an den Gläubiger auszugleichen. 2Die Verpflichtung zu Ausgleichszahlungen besteht nur, soweit der durch die Nutzung entstehende Wertverlust die Sicherung des absonderungsberechtigten Gläubigers beeinträchtigt. 3Zieht der vorläufige Insolvenzverwalter eine zur Sicherung eines Anspruchs abgetretene Forderung anstelle des Gläubigers ein, so gelten die §§ 170, 171 entsprechend.

 

Die Anordnung gilt eben gerade nicht für sonstige Rechte.

Weil § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO ausdrücklich auf § 166 InsO verweist, ist durch das Urteil jetzt klargesellt, dass solche Verwertungs- und Einziehungsverbote nicht mehr gerichtlich erlassen werden können, wenn es sich um sonstige Rechte handelt.

Sollte also ein Beschluss eine solche Klausel enthalten:

Es wird angeordnet, dass die Sicherungsgegenstände Homepage, Domain usw. nicht verwertet oder eingezogen werden dürfen und zur Fortführung des schuldnerischen Unternehmens seitens des vorläufigen Insolvenzverwalters

eingesetzt werden dürfen.

Sollte die Bank hiergegen sofortige Beschwerde (§§ 6 Abs. 1 in Verbindung mit 21 Abs. 1 letzter Satz InsO analog) einlegen, weil ein solcher Beschluss nicht mehr zulässig ist, offensichtlich aber leider von manchen Insolvenzrichtern immer noch erlassen wird.

Warum aber analog?

Die sofortige Beschwerde ist für § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO nicht ausdrücklich im Gesetz vorgesehen und das ist die Voraussetzung des § 6 Abs. 1 InsO.

§ 6 InsO Sofortige Beschwerde

(1) 1Die Entscheidungen des Insolvenzgerichts unterliegen nur in den Fällen einem Rechtsmittel, in denen dieses Gesetz die sofortige Beschwerde vorsieht. 2Die sofortige Beschwerde ist bei dem Insolvenzgericht einzulegen……

Das kann dazu führen, dass der Beschluss – obwohl nicht zulässig – durch das Gericht für die Dauer des vorläufigen Verfahrens beibehalten wird, wenn das Gericht eine analoge Anwendung ablehnt.

Die Bank hat hier lediglich die Möglichkeit, dann den vorläufigen Insolvenzverwalter und das Gericht auf die Kostenpflichtigkeit eines solchen Verhaltens hinzuweisen und auch dem Gericht gegenüber Amtshaftungsansprüche wegen des offensichtlichen Verstoßes gegen die aktuelle BGH-Rechtsprechung in Aussicht zu stellen.

Die Voraussetzungen für einen Amtshaftungsanspruch sind klar und m.E. in einem solchen Fall auch erfüllt:

Im Einzelnen müssen folgende 6 Voraussetzungen erfüllt sein (Prüfungsschema): 

  1. Ausübung eines öffentlichen Amtes durch einen Amtsträger
  2. Verletzung einer drittbezogenen Amtspflicht
  3. Verschulden
  4. Zurechenbarkeit des Schadens
  5. Kein Haftungsausschluss und keine Haftungsbeschränkungen
  6. Keine Verjährung

 

Denn durch den rechtswidrigen Beschluss greift das Gericht in das Eigentums- und Verwertungsrecht des Sicherungsnehmers ein, wodurch diesem ein Schaden entsteht.

Die auch als Voraussetzung bestehende Ausschöpfung des Rechtsweges ist hier auch gegeben, weil ja kein Rechtsmittel im Gesetz vorgesehen ist.

Im Vorfeld bietet es sich jedoch an, eine Schutzschrift an das Gericht zu schicken und auf die Rspr. des BGH hinzuweisen, um bereits den Erlass eines solchen Beschlusses zu verhindern.

Quelle(n)

BGH Grundsatzurteil v. 27.10.2022, Az. IX ZR 145/21